FARBKONZENTRIERTE AUSSCHLIESSLICHKEIT

Überlegungen zu einer grundsätzlichen Sicht auf die Malerei

Kein Kurator musste diese sechs Positionen aktueller Malerei koordinieren. Die Künstler haben sich selbst gefunden. Dass sie alle mehr oder weniger aus Köln und Umgebung kommen, hat den Findungsprozess naturgemäß beflügelt. Entscheidender als die räumliche Nähe ist aber die Fokussierung auf die Farbe, ihr sind in diesem Fall alle anderen Parameter der Bildgewinnung mehr oder weniger unterworfen. Man könnte von Farbkonzentrierter Ausschließlichkeit sprechen, jedenfalls hat dieses Primat die sechs Protagonisten aktueller Malerei zusammengeführt. Ein entsprechender Diskurs ist schon seit längerer Zeit unterwegs. Andere Parameter treten angesichts dieser Prämisse etwas zurück oder werden vielleicht erst beim zweiten Blick gesehen, denn die Farbe zieht alle Blicke auf sich, als primäres Ausdrucksmittel, als Thema und Telos ist sie hier die gemeinsame conditio sine qua non. Der Blick geht unmittelbar ins Freie, wo sich das COLORSCAPE auftut: Landschaft an sich für und mit der Farbe. Und im Idealfalle herrscht natürliches Licht! Unabgelenkt durch Realismen, welcher Art auch immer, geht der Zugang über diese Via Regia direkt in die Mitte der Wahrnehmung, die durch jeden der angetretenen Künstler etwas anders definiert ist und sich in der Tradition der Moderne jeweils etwas unterschiedlich verankert, um eine eigene Existenzweise in der erregten Gegenwart zu finden. Trotz dieser Fokussierung ist die Vielfalt schier grenzenlos. Vielleicht hallt noch das Echo der ‚Radikalen Malerei‘ nach, die Mitte der 80er Jahre gerade hier eine besondere Rolle spielte und einige der in dieser Ausstellung vertretenen Positionen noch unmittelbar berührt hat. Deren zugespitzte Formeln, die auf ihre Weise auf den Status quo von Kunst reagierten, sind längst Teil der neueren Kunstgeschichte. Viele Ansprüche aus diesem Kontext sind geblieben, weil deren treibende Kraft zeitlos ist. Inzwischen wird weitergebaut an einer Möglichkeitsform, die vorläufig als ‚Farbmalerei’ umschrieben werden kann, bis sich im Gegenüber mit den einzelnen Positionen und Bildern solche Gattungsfragen verflüchtigen.

Raymund Kaiser (*1955) spiegelt die Umgebung und die, die seiner Malerei nahetreten, im schönen Grund einer perfekten, geradezu gläsern anmutenden Fläche. Die Umgebung schreibt sich ein, sie wird fast schon automatisch Teil des Bildes. Solchermaßen coloristisch eingemeindet, irritiert sie die Wahrnehmung des reinen Farbbildes. Abgesehen davon erheben sich in dem glänzenden Fond fast urwüchsig anmutende Materialfelder des gleichen Tons. Man könnte von Monochromie in zweierlei Seinsweisen sprechen. An der materialen Expression strauchelt das Spiegelbild, die Farbe als fast schon urwüchsige Masse in der windstillen Umgebung ruft nach dem Diskurs von Aufruhr und Sublimierung. Das erste und zweite Bild, wenn man im Benennen so weit gehen will, beginnen miteinander zu arbeiten, beide werden eins im endgültigen Dritten, einem Farbstück mit beträchtlichem dialogischem Potenzial.

Die Arbeiten von Andreas Keil (*1970) wirken auf den ersten Blick wie Kompressionen. Das klingt fast etwas gewalttätig, doch seine Bilder erscheinen wie extreme Verdichtungen auf relativ begrenztem Terrain. Das kleine Format fällt buchstäblich aus dem Rahmen, das meint aber keine Beschränkung, sondern viel eher ein Adelsprädikat, denn die Strahlkraft dieser Bilder ist beträchtlich. Hinzu kommt, dass die dafür verwendeten Holzkörper mehr oder weniger Fundstücke sind und somit jeweils eine eigene Geschichte mitbringen. Diese schon mal etwas windschiefen, voluminösen Individuen, ja Brocken, werden aber letztlich durch die Malerei beatmet. Die Farbe liegt auf einem skulpturalen Sockel, sie beruhigt, vielleicht besänftigt sie sogar ihren Träger und seine Vorgeschichte, jedenfalls wirkt das strukturierte Material wie ein Siegel; kostbare Momente, verwirrende Täuschungen nicht ausgeschlossen.

K. P. Kremer (*1944) durchquert in seinen Farbfeldversuchen die Leinwand in weiträumigen Bahnen, die sich auch als Streifen charakterisieren lassen und sich in ihren unterschiedlich geladenen Wertigkeiten zu einem gelegentlich sogar konstruktiven Mit- und Gegeneinander versammeln. Aus den Versuchen werden fast schon geometrisch rationalisierte Landschaften. In älteren Arbeiten waren Montagen aus anderen Weltgegenden möglich. Die gegen das Format gesetzten Bahnen oder Wege klingen zum Rand hin aus oder schwellen an: Crescendo-Decrescendo. Tiefen und Untiefen, vielleicht sogar Lautstärken ergeben sich auch durch lasierende Setzungen. Volumen ist eine Frage der Schichtung, die ihren Umraum einsehbar macht.

Michael Toenges (*1952) formuliert modellierende Engführungen von Material, Form und Bewegung. Jedenfalls lodert auf seinen Leinwänden schon mal ein dicht verzahntes Sowohl als Auch von Ausdruck und Objektivierung, deren Motivation angefüllt ist mit langjähriger Erfahrung und forschendem Vorwärtsdrang. Das Bild ist randvoll, das Relief wird dementsprechend aufgeworfen. Die Beschreibung klingt fast zu dramatisch, aber warum nicht? Im Zweifelsfalle liegen auch Tragödien und andere Katastrophen aber auch sanfte Lyrismen im Anspruchsradius dieser Kunst. Der momentane Erregungszustand schöner Krisen wirkt wie eine Momentaufnahme, wie ein Balanceakt am Rande des Abgrunds. Der Malprozess ist eben zur Ruhe gekommen, im nächsten Bild wird er unter etwas anderen aber letztlich ähnlichen Bedingungen fortgesetzt.

Peter Tollens (*1954) gewährt partiell Einblicke ins Bildinnere. Wie Schollen stoßen tiefer liegende Malvorgänge durch dominierende Schichten. Der Bildkörper will sich nicht schließen. Vielleicht geht es um das Öffnen und das Verbergen oder sogar um eine Anatomie der Malerei. Im Sehen lassen sich diese Schollen begehen, mit dem Auge könnte man Zipfel anheben. Der Blick als eine aktive Kraft wird geradezu herausgefordert. Ausgefranste Fenster in den Prozess tun sich auf, in gewisser Weise sogar attraktive Wunden, Andeutungen eines piktoralen Unterbewusstseins kommen zum Vorschein. In letzter Zeit arbeitet er immer intensiver mit Lasuren; aus Schollen werden Häute, vielleicht sogar Schleier. Die Verletzlichkeit der Bilder nimmt zu. In jedem Fall ruht aber das durchmodellierte Material gelassen in sich selbst, weil es im Bildzustand (auch der Träger gehört dazu) seinen Punkt gefunden hat.

Ulrich Wellmann (*1952) sucht und findet den Ort für die Farbe. Der Malimpuls ruft nach freien Gesten in einem eigens dafür vorbereiteten Grund, aktuelle coloristische Bedürfnisse lenken das Ereignis.

Schauplatz dieser Suchbewegung mit ihrer durchaus finalen Dramaturgie ist das Tafelbild, das er dafür gelegentlich auch neu definiert, bzw. bewusst transzendiert. Lichtdurchflutete Plexiglaskörper sind beispielsweise Tafeln für eine Malerei der Schwerelosigkeit. Seit geraumer Zeit quellen unter seinen Keilrahmen, bzw. wuchern in seinen Aquarellen seltsame Luftwurzeln. Man könnte von trotzigen Kürzeln, von Fußnoten sprechen oder von Lichtfragmenten, die das Malen vorbereiten und die der Prozess der Bildgewinnung selbst herausgeschleudert hat.

Losgelöst von Erfahrung und Tradition ist Sehen und Malen nicht möglich, aber das einzelne, autonome Bild kann ein Königreich für sich sein. Alle notwendigen Referenzen sind enthalten. Im Zweifelsfalle enthält jedes Gemälde auch ein Stück neu hinzu gewonnenen Landes. Die guten Bilder sind auf diese Weise allein schon stark, aber sie wachsen im Dialog untereinander. Selbst Malereien, die für sich stumm sind, weil Farbe eigentlich nicht spricht (und das kann eine Tugend sein), fangen in gewisser Weise untereinander an zu reden. So ein interner Dialog, den die Betrachter mit ihrer Anschauung befeuern, ist beispielhaft für die hier versammelten Arbeiten.

In COLORSCAPE geht es am allerwenigsten um regionale Radikalismen der Farbe, den sechs Positionen eignet in den Einzelstücken genauso wie im Dialog untereinander etwas Paradigmatisches, was nicht ausschließt, dass andere Motivationen mitspielen. In den Bildbeschreibungen, die wie eine gedruckte Abbildung nur ein Notbehelf sein können, wurde versucht, die Verfahrensweisen eines grundsätzlichen Umgangs zu packen; mit Hilfslinien und anschaulichen Metaphern. Die dabei aufscheinende Essentialität der fundamentalen Bilder wird im Augenblick wahrscheinlich mehr gebraucht als je zuvor, wenn man so will, als Schule des Sehens, die mit Didaktik nur noch sehr entfernt was zu tun hat. Aber vielleicht kann man auch von solchen Bildern lernen. Die Bilder stellen ohnehin mehr Fragen. Eingangs übergangene Parameter werden zu Beiträgen der angestrebten Essentialität. Komposition, das Bespielen des Bildraums nach angelernten Erfahrungen und relationalen Gesetzen, wird zur Suche nach der Waagerechten, einem Gleichgewicht, das vielleicht auch die Betrachter in den Bildern finden. Koloristik formuliert sich als eine unmittelbare Folgeerscheinung des Umgangs mit dem Material. Ursache und Wirkung spielen mit Schein und Sein. Die dafür bereitstehenden Farblandschaften bilden in gewisser Weise eine parallele, ja eine Art selbsttragende Wirklichkeit, einen anderen Realismus, ganz bestimmt aber Orte der Wahrnehmung, in denen man sich genauso gut verlieren aber auch wieder finden kann. Das ist keinesfalls weltfremd, sondern ganz nahe bei dem, was Kunst sein kann, nämlich gestaltete Materie, die illusionslos bei sich ist und so ganz unmittelbar an die Betrachter appelliert. Der Abstand zwischen Mensch und Kunst wird kleiner.

Reinhard Ermen

Reinhard Ermen (*1954), freier Kunstkritiker in Stuttgart und Musik-Redakteur im Kulturprogramm SWR2 für den Bereich Sinfonie, Oper & Chormusik. Er ist ständiger Mitarbeiter beim Kunstforum International. Buchveröffentlichung: Joseph Beuys (rororo monographie), Reinbek 2007. Aktuelles Kunstdokumentationsprojekt: „Zeichnen zur Zeit“ im Kunstforum International.